Fettleibigkeit liegt in den Genen

In einem kürzlich gehaltenen Monolog sprach der Komiker James Corden über seine Probleme mit dem Übergewicht. Trotz aller Bemühungen sei es ihm nie gelungen, sein Gewicht zu kontrollieren, sagte er und gestand, dass er “gute Tage und schlechte Monate” habe. Der Monolog war eine Antwort auf einen Leitartikel von Bill Maher, der argumentierte, dass Fat Shaming ein Comeback erleben sollte, indem er die Fettleibigen für ihren Mangel an Selbstbeherrschung anprangerte. Wer von den beiden hatte Recht? Sind die Fettleibigen an ihrem Zustand schuld?

Nein. Jüngste Forschungen haben ergeben, dass Fettleibigkeit zu einem großen Teil in unseren Genen verankert ist. Studien an eineiigen Zwillingen haben gezeigt, dass die Vererbbarkeit von Fettleibigkeit zwischen 70 und 80 % liegt, ein Wert, der nur von der Körpergröße übertroffen wird und höher ist als bei vielen anderen Krankheiten, bei denen die Menschen annehmen, dass sie genetisch bedingt sind. Auch wenn die Prävalenz der Fettleibigkeit in den letzten Jahrzehnten insgesamt zugenommen hat, so ist es doch die besondere Art der gewichtsregulierenden Gene, die eine Person erbt, die bestimmt, wer im Amerika des Jahres 2019 schlank und wer fettleibig ist.

Könnte es also sein, wie Maher andeutet, dass dünne Menschen ihren Drang zu essen kontrollieren und fettleibige nicht? Für diejenigen, die glauben, dass Dünnsein eine Folge größerer Selbstbeherrschung ist, sei der Fall eines massiv fettleibigen vierjährigen Jungen in England erwähnt, der 80 Pfund wog. Nach dem Verzehr einer einzigen Testmahlzeit mit 1 125 Kalorien (die Hälfte des Tagesbedarfs eines durchschnittlichen Erwachsenen) verlangte er nach mehr. Dieser Junge hatte einen ähnlich betroffenen achtjährigen Cousin, der mehr als 200 Pfund wog. Beide Kinder tragen einen Gendefekt in sich, der ihre Fettleibigkeit verursacht und in der Familie verbreitet ist. Das defekte Gen kodiert das Adipozytenhormon Leptin, und die Kinder produzieren es nicht.

Wenn sie jedoch Leptin-Injektionen erhalten, wird ihr Appetit auf ein normales Maß reduziert, und sie verlieren enorme Mengen an Gewicht. Der Junge ist jetzt sogar ziemlich dünn. Diese Ergebnisse bestätigen, dass biologische Faktoren die Hauptrolle bei der Bestimmung des Appetits spielen, und widerlegen die weit verbreitete Annahme, dass die Nahrungsaufnahme in erster Linie freiwillig gesteuert wird.

Bei normalen Menschen ohne Leptin-Mutationen wird das Hormon von den Fettzellen in den Blutkreislauf abgegeben und wirkt dann auf spezialisierte Gehirnzellen, die den Appetit regulieren. Wenn die Fettmenge zunimmt, steigt die Leptinproduktion, und die Nahrungsaufnahme sinkt. Bei einer Gewichtsabnahme sinkt die Leptinproduktion, was wiederum den Appetit anregt. Dieses physiologische System wirkt wie ein Thermostat (oder “Lipostat”), der das Körpergewicht in einem relativ engen Bereich hält.

Dieses System erfüllt eine lebenswichtige evolutionäre Funktion, indem es die optimale Menge an Fettgewebe aufrechterhält und so eine Kalorienquelle bietet, wenn keine Nahrung verfügbar ist, was in der menschlichen Evolution nicht selten vorkommt. Die mit überschüssigem Fett verbundene geringere Mobilität kann jedoch das Risiko durch Raubtiere erhöhen. Das Leptinsystem scheint sich entwickelt zu haben, um das Risiko, zu dünn zu sein (Verhungern), und das Risiko, zu fett zu sein (Raubtiere), auszugleichen. Tatsächlich ist das Gewicht aller Säugetiere genau reguliert – auch wenn nur der Mensch jemals den bewussten Wunsch geäußert hat, abzunehmen.

Spezifische genetische Unterschiede, die für Fettleibigkeit oder Magerkeit prädisponieren, werden dann durch natürliche Auslese weitergegeben, je nachdem, ob das Risiko des Verhungerns oder des Raubens größer war. Das Gewicht eines jeden Individuums wird dann durch das Leptinsystem mit bemerkenswerter Präzision stabil gehalten. Der durchschnittliche Mensch nimmt eine Million oder mehr Kalorien pro Jahr zu sich und hält sein Gewicht über Jahrzehnte hinweg in einem engen Bereich. Der Körper gleicht den Kalorienverbrauch mit dem Kalorienverbrauch ab, und zwar mit einer Genauigkeit von mehr als 99,5 Prozent – eine Genauigkeit, die weit über derjenigen liegt, die auf den Etiketten mit dem Kaloriengehalt der von uns verzehrten Lebensmittel angegeben ist.

Hormonmutationen sind selten, und es gibt nur ein paar Dutzend Patienten, die kein Leptin produzieren. Studien an diesen Personen belegen zwar, dass Leptin eine Rolle bei der Kontrolle des Appetits beim Menschen spielt, aber Defekte im Gen selbst sind eine sehr seltene Ursache für Fettleibigkeit. Häufiger sind jedoch Mutationen im neuronalen Schaltkreis, der durch Leptin reguliert wird, einschließlich Mutationen im Leptinrezeptor. Patienten mit Mutationen können das Signal von Leptin nicht empfangen und werden daher ebenfalls massiv fettleibig. Da diese Patienten aber das Signal von Leptin nicht empfangen können, ist die Behandlung mit dem Hormon unwirksam und diese Patienten werden als “leptinresistent” bezeichnet.

Der Leptinrezeptor wird im Hypothalamus exprimiert, einem primitiven Teil des Gehirns, der die meisten grundlegenden biologischen Antriebe reguliert, darunter auch den grundlegenden Antrieb zum Essen. Im Hypothalamus gibt es spezialisierte Neuronen, die den Leptinrezeptor exprimieren und den Appetit regulieren. Ein Typ fördert die Nahrungsaufnahme; eine zweite Neuronenpopulation reduziert die Nahrungsaufnahme. Leptin wirkt, indem es die eine hemmt und die andere aktiviert. Ähnlich wie Mutationen im Leptinrezeptor verursachen auch Mutationen in anderen Schlüsselgenen, die dem Hypothalamus nachgeschaltet sind, beim Menschen Fettleibigkeit. Jüngste genetische Studien haben gezeigt, dass bis zu 10 Prozent der stark fettleibigen Kinder Mutationen in dem einen oder anderen dieser einzelnen Gene tragen. Wenn Maher also kategorisch behauptet, dass “Fettleibigkeit kein Geburtsfehler ist”, liegt er (meistens) falsch.

Ein weiterer Fehler, den Maher und andere begehen, ist die Annahme, dass der Drang zu essen für alle gleich ist. Leptin reguliert die Intensität des Nahrungstriebs. Fehlt Leptin, so berichten die Patienten, dass sie ihren Appetit nicht kontrollieren können und unersättlich essen. Ein Patient beschrieb dies als “Hunger ohne Ende”, ähnlich dem größten Hunger, den man je hatte. So fühlen sich Menschen mit Leptinmangel die ganze Zeit. Dieses Gefühl scheint bei fettleibigen Patienten, die abnehmen (z. B. bei “The Biggest Loser”), ähnlich zu sein, denn die meisten von ihnen nehmen wieder zu

Insgesamt sorgen die Gene, die die Nahrungsaufnahme und den Stoffwechsel steuern, dafür, dass das Gewicht in einem stabilen Bereich bleibt, indem sie eine biologische Kraft erzeugen, die einer Gewichtsveränderung in beide Richtungen widersteht. Je mehr Gewicht abgenommen wird, desto größer ist das Hungergefühl, das entsteht. Wenn fettleibige Menschen durch bewusste Anstrengung große Mengen an Gewicht verlieren, wehrt sich ihr Körper mit aller Macht. Wenn Sie glauben, dass es schwierig ist, 15 Pfund abzunehmen, dann stellen Sie sich vor, wie es sich anfühlen muss, 50 oder 100 Pfund abzunehmen!

Kann Willenskraft diesen Drang auf Dauer zügeln? Die Beweise zeigen, dass die Antwort für die große Mehrheit der Menschen nein lautet. Ja, ein relativ kleiner Teil der Patienten schafft es, langfristig abzunehmen. Aber “Willenskraft” ist nicht metaphysisch, sie ist in unserer Großhirnrinde kodiert, wo das bewusste Denken angesiedelt ist. Wie die Großhirnrinde erfolgreich mit dem Hypothalamus kommuniziert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Wie diese Kommunikation genau abläuft, ist noch nicht bekannt, wird aber aktiv erforscht.

Was wir wissen, besagt, dass man, wenn man schlank ist, seinen “schlanken” Genen danken und die Übergewichtigen nicht stigmatisieren sollte. Eine breite Akzeptanz der biologischen Grundlagen der Fettleibigkeit wäre nicht nur fair, sondern würde es uns ermöglichen, uns gemeinsam auf die Gesundheit zu konzentrieren. Selbst ein bescheidener Gewichtsverlust, der weit unter dem liegt, was Maher zufrieden stellen würde, kann die Gesundheit verbessern, und das sollte das Ziel für fettleibige Menschen sein, die unter den medizinischen Komplikationen leiden.

Die Forschung macht zwar Fortschritte bei der Entwicklung wirksamer Therapien für Fettleibigkeit, aber wir sind noch nicht am Ziel. In der Zwischenzeit müssen wir unsere Einstellung ändern und unser Augenmerk vom Aussehen auf eine bessere Gesundheit richten. Die Fettleibigen kämpfen gegen ihre Biologie. Aber sie kämpfen auch gegen eine Gesellschaft, die fälschlicherweise glaubt, dass Dicksein ein beschämendes, persönliches Versagen ist.

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