Role Theory: Foundations, Extensions, and Applications

Die Rollentheorie bietet konzeptionelle Elemente und dynamische Beziehungen in den Sozialwissenschaften. In der Tat ist der Begriff der Rolle zu einer Art “Meta-Konstrukt” geworden, das an die wissenschaftlichen Schwerpunkte und methodischen Vorlieben von Bereichen wie Soziologie, Psychologie, Anthropologie und Management angepasst wurde, um nur einige zu nennen. Diese breite Anwendung ist zwar ein Beleg für die Bedeutung von Rollenkonstrukten in der Gesellschaftstheorie, hat aber auch zu einer gewissen begrifflichen Verwirrung, formelhaften Ungenauigkeiten und stark divergierenden Interpretationen geführt. Nichtsdestotrotz besteht ein weitgehender Konsens über die integrale Natur von Rollen in der Funktionsweise sozialer Systeme und im Verhalten von Individuen.

Grundlegend sind Rollen organisierte Verhaltensmuster und Erwartungen, die mit einer bestimmten Position (hierarchisch, funktional oder sozial) einhergehen oder die eine bestimmte Situation begleiten. Das heißt, Rollen kapseln das akzeptierte Repertoire an individuellem Verhalten, das mit einer bestimmten Position oder einem bestimmten Umstand verbunden ist, ein und rufen es auf. Auf diese Weise geben Rollen Verhaltensrichtlinien, Vorschriften oder Grenzen in Form von Erwartungen vor. Diese Erwartungen können formell zugewiesen und explizit formuliert werden – wie im Fall von beruflichen Stellenbeschreibungen – oder informell angenommen und stillschweigend übernommen werden – wie im Fall von jemandem, der die Rolle des “Vermittlers” in einer Freundschaftsclique spielt. Indem sie Verhaltenserwartungen wecken, wirken sich Rollen außerdem darauf aus, wie Individuen physische oder soziale Reize kognitiv einordnen, interpretieren und verarbeiten, und beeinflussen somit auch emotionale Reaktionen. Es ist umstritten, ob sich der Einzelne der Rollen, die er spielt, voll bewusst ist, aber das ist nebensächlich für die zugrundeliegende Annahme, dass Rollen das Verhalten beeinflussen und daher starke Prädiktoren für individuelles Handeln und der Schlüssel zum Verständnis sozialer Systeme sind.

Dieser Aufsatz soll weder einen umfassenden Überblick über die Rollentheorie geben noch neue theoretische Formulierungen vorschlagen. Vielmehr soll dieser Aufsatz einen Rahmen für die Organisation der Rollentheorie bieten, der sich auf die Analyseebenen und das jeweilige Phänomen konzentriert.

Es gibt zwei primäre Analyseebenen, die für die Rollentheorie relevant sind. Die erste betont, wie Rollen innerhalb und durch soziale Systeme, wie Gesellschaften oder Gruppen, funktionieren. Die zweite Ebene befasst sich damit, wie Rollen die Individuen, die sie innehaben, beeinflussen bzw. von ihnen beeinflusst werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine klassische Unterscheidung zwischen Makro- und Mikroebene, wobei erstere für soziologische und anthropologische Untersuchungen charakteristisch ist, letztere für Management- und psychologische Untersuchungen (obwohl es natürlich auch einige Überschneidungen gibt). Das Phänomen des Schwerpunkts bezieht sich auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand innerhalb der einzelnen Analyseebenen. So kann sich ein Forscher in der Tradition der Sozialsysteme auf Nationen, das ethnische Erbe oder den Gruppenzusammenhalt konzentrieren, während ein Forscher in der Tradition der Individualforschung sich auf Selbstkonzepte, Kognitionen oder Konflikte konzentrieren kann. Die Phänomene, die innerhalb der einzelnen Analyseebenen im Mittelpunkt stehen, sind sehr unterschiedlich und werden in den Unterpunkten erörtert.

SOZIALE SYSTEME

Die Grundannahme der Rollentheorie auf der weitesten Ebene ist, dass soziale Systeme – insbesondere Gesellschaften, Kulturen, Organisationen, Gruppen und Familien – durch Rollen organisiert sind und funktionieren. Rollen strukturieren also dynamisch die Interaktion der Teilnehmer, um den Zweck sozialer Systeme zu erhalten, zu verteidigen, zu verändern, zu erneuern oder voranzutreiben. Auf diese Weise werden Rollen zum primären Bindeglied zwischen dem sozialen System und dem Individuum und dienen dazu, dem einzelnen Akteur die Erwartungen des größeren Ganzen zu vermitteln. Rollen können also als unverzichtbare Mechanismen betrachtet werden, die die Werte des sozialen Systems verkörpern.

Gesellschaften und Stasis. Eine der frühesten Anwendungen der Rollentheorie in der Sozialwissenschaft beinhaltete den Vorschlag, dass Gesellschaften wie Organismen differenzierte Teile haben, die in gegenseitiger Abhängigkeit funktionieren, damit das Ganze funktionieren kann. In jeder Gesellschaft gehören zu diesen Teilen auch Institutionen wie der Staat oder die Kirche, die jeweils bestimmte Aufgaben erfüllen, die die Prioritäten der Gesellschaft widerspiegeln. Die Institutionen an sich erfüllen jedoch nicht die Aufgabe. Um ihre Ziele zu erreichen, übertragen die Institutionen diese Verantwortung durch Sozialisierung und Erziehung auf die Individuen, die ihrerseits dafür verantwortlich sind, sie zu erfüllen. Daher werden Rollen zum primären theoretischen Konstrukt für die Erklärung der sozialen Stabilität. Das heißt, Rollen funktionieren in einer Weise, die der sozialen Ordnung und Stabilität förderlich ist. Der Begriff “Funktion” ist hier wichtig, denn der Funktionalismus war der Name der wichtigsten Denkschule jener Zeit (Parsons 1951).

Das Hauptanliegen des Funktionalismus war die Frage, wie Gesellschaften über Rollen entscheiden, sie gestalten, kommunizieren und durchsetzen. Dieses Anliegen eröffnete eine Reihe von Fragen, die die soziologische Rollentheorie beschäftigt haben, wie z.B.: welche Parteien eine Rolle bezeichnen, die Gründe für das Privileg oder den Status, der bestimmten Rollen zugewiesen wird, die Mechanismen, durch die das soziale System Rollen einprägt, und wie sichergestellt werden kann, dass eine Rolle getreu ausgeübt wird (siehe Biddle 1986).

Kultur und Wandel. Die Rollentheorie hat vor allem über die Anthropologie Eingang in das Studium der Kulturen gefunden. Hier ist der dramatische, theatralische Charakter von Rollen deutlich zu erkennen. Der Grundgedanke ist, dass es in allen Kulturen Formen von Ritualen, Zeremonien und Prunk gibt, die symbolische gesellschaftliche Rollen umfassen, die ihrerseits entscheidende soziale Funktionen erfüllen. Im Gegensatz zu Soziologen, die solche Institutionen und ihre vorgeschriebenen Rollen als Aufrechterhaltung von Stillstand und Ordnung betrachten, argumentieren Anthropologen, insbesondere Victor Turner (1986), dass der Zweck eines solchen sozialen Dramas der Wandel ist. Insbesondere behauptet Turner, dass immer dann, wenn Individuen in Übereinstimmung mit sozialen Skripten (d. h. Rollen) handeln, die Möglichkeit der “Liminalität” besteht: ein Ort in der Zeit und unter den Umständen, an dem Individuen von den vorgeschriebenen Mustern abweichen und neue initiieren. Die eigentliche Idee von Rollen ist es, Neuheit und Kreativität auszulösen oder zu erzeugen, indem man aus dem Erwarteten heraustritt und so der im sozialen Drama dargestellten Dynamik eine neue Bedeutung verleiht. Es ist die Spannung zwischen Normen und Erwartungen und der Stabilität, die sie implizieren, und der Notwendigkeit des Wandels um des Überlebens willen, die die Veränderung von Rollen belebt, die als Motor der kulturellen Entwicklung angesehen wird.

Organisationen und Leistung. Während der Schwerpunkt auf Stabilität bzw. Veränderung liegt, wenn Gesellschaften oder Kulturen das Phänomen sind, das im Mittelpunkt steht, liegt der Schwerpunkt bei Organisationen auf der Leistung (typischerweise operationalisiert als Produktivität oder die Differenz zwischen Input und Output oder Kosten und Gewinn). Die Rollentheorie findet ihren Weg in das Management auf der Makroebene mit Forschungen, die sich mit der Gestaltung von Organisationen befassen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie eine Organisation so gestaltet werden kann, dass sie eine optimale Leistung erbringt, d. h. eine Struktur, durch die die Organisation geführt wird. Zu den Grundsätzen der Organisationsgestaltung gehören Differenzierung, Integration, Zentralisierung, Komplexität und Formalisierung. Ein Schlüsselelement bei der Errichtung einer Struktur ist jedoch die formale Festlegung der Rollen, die den Akteuren der Organisation zugewiesen werden (siehe Hall 1991).

Die Rollen, die Einzelpersonen in Organisationen übernehmen, werden in der Regel auf der Grundlage von Fachwissen und früheren Erfahrungen zugewiesen. Das heißt, eine Person ist speziell ausgebildet oder hat den Hintergrund, um die entsprechenden Aufgaben auszuführen; sie ist darauf vorbereitet, eine Rolle zu übernehmen. Neben dem Vorhandensein der erforderlichen Fähigkeiten sind organisatorische Rollen jedoch auch dazu gedacht, Personen in die jeweilige Struktur der Organisation einzuordnen. Dies geschieht in erster Linie durch zwei formelle Mechanismen und einen informellen Mechanismus. Der erste Mechanismus ist die Stellenbeschreibung, in der alle Aufgaben und Zuständigkeiten detailliert beschrieben werden. Die Stellenbeschreibung formuliert also die Erwartungen und setzt strenge Verhaltensgrenzen. Der zweite Mechanismus ist das Berichtsverhältnis, das die hierarchische Ordnung der Organisation beschreibt und somit die Genehmigungs- und Kommunikationswege vorgibt. Der dritte und informelle Mechanismus, durch den das individuelle Verhalten gesteuert wird, ist die Organisationskultur. In diesem Fall bezieht sich die Kultur auf das Klima der Organisation sowie ihre stillschweigenden Sitten und Traditionen.

Aus der Sicht der Organisationsforschung stellt sich die Frage nach der Beziehung zwischen Struktur und Leistung. In Branchen, in denen es eine hohe Veränderungsrate gibt, deuten Forschungsergebnisse beispielsweise darauf hin, dass lockerere Strukturen mit weniger Spezifikationen für Stellenbeschreibungen und offeneren Kommunikationskanälen tendenziell besser funktionieren. Es genügt zu sagen, dass nirgendwo die Rollen so formell kommuniziert, überwacht und kontrolliert werden wie beim Management der Unternehmensleistung.

Gruppen und Funktionalität. Ein weiterer Untersuchungsbereich, in dem Rollenkonzepte eine wichtige Rolle spielen, sind Gruppen. Definiert als zwei oder mehr voneinander abhängige Individuen, die sich zusammengefunden haben, um ein Ziel zu erreichen, können Gruppen formelle Arbeitsteams, Freundschaftscliquen und sogar Familien umfassen (obwohl Familienbeziehungen oft als ein unabhängiges, eigenständiges Forschungsgebiet behandelt werden). Die konzeptionellen Elemente der Gruppenforschung unterscheiden sich nicht grundlegend von denen, die bei der Untersuchung von Gesellschaften, Kulturen oder Organisationen zum Tragen kommen. Das heißt, dass die Mitglieder einer Gruppe auf komplementäre Weise funktionieren müssen, um ihren Zweck zu erfüllen – sei es die Erfüllung einer organisatorisch zugewiesenen Aufgabe oder die Pflege der Kameradschaft. Die in der Gruppenforschung am häufigsten verwendeten Rollenkonzepte sind die Rollenidentität (die Einstellungen und Verhaltensweisen, die mit einer Rolle übereinstimmen), die Rollenwahrnehmung (die Auffassung eines Individuums, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten sollte), die Rollenerwartungen (die Überzeugungen anderer, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten sollte) und der Rollenkonflikt (der Widerspruch zwischen zwei Rollenerwartungen). Diese Konzepte werden dann verwendet, um verschiedene Gruppendynamiken – wie Konformität, Statusbeziehungen und Kohäsion – und Ergebnisse – wie Leistung, Zufriedenheit, Kreativität und Effizienz – vorherzusagen (für einen Überblick siehe Goodman et al. 1987).

INDIVIDUELLES

Ob man nun Gesellschaften, Kulturen, Organisationen oder Gruppen untersucht, Rollen werden von Individuen ausgeübt. Der Begriff “inszeniert” ist hier wichtig, denn er verweist auf die theatralischen, dramaturgischen Wurzeln der Rollentheorie (Simmel 1920). Moreno (1934) beispielsweise betonte die Bedeutung des Rollenspiels als natürliche Handlung von Kindern, um etwas über sich selbst und ihre Welt zu lernen, und als wichtiges Hilfsmittel für die Erziehung und die Therapie. Der vielleicht einprägsamste Vorschlag ist Goffmans kraftvolle theatralische Analyse (1959). Goffmans Grundprämisse, die der von Shakespeares “Die ganze Welt ist eine Bühne” nicht unähnlich ist, lautet, dass alles menschliche Verhalten gespielt ist, wobei die Art des Publikums berücksichtigt wird. Obwohl diese Denker sich im Grad ihrer theoretischen Verpflichtungen unterscheiden, unterstreichen sie den zentralen Platz, den die Metapher des Bühnenspiels in der Rollentheorie einnimmt, insbesondere als Erklärungs- und Anschauungshilfe für das Verständnis individuellen Verhaltens.

Identität und Interaktion. Es steht außer Frage, dass die individuelle Identität – das Selbstverständnis und die Persönlichkeit des Einzelnen – von der Gesellschaft, in der der Einzelne lebt, von der Familie, in die er hineingeboren wird, von der Gemeinschaft, in der er aufwächst, und von den Menschen, mit denen er verkehrt, beeinflusst wird. Identität ist sicherlich ein komplexes, verwobenes Zusammenspiel zwischen der Person und ihrer Situation. Und dass Rollen einen starken Einfluss auf die individuelle Identität ausüben, zeigt sich auch in den Selbstbeschreibungen der Menschen, die immer auch Rollen beinhalten (z. B. Tochter, Ehemann, Student, Anwalt). Individuen zeigen also eine ausgeprägte Neigung, sich selbst durch die von ihnen eingenommenen Rollen zu verstehen.

Die Untersuchung von Rollen bei der Identitätsbildung wurde weitgehend von einer Denkschule angeregt, die als symbolischer Interaktionismus bekannt ist. Nach dieser Sichtweise entwickelt sich die Identität durch den dynamischen Prozess einer kommunizierenden Gesellschaft. Hier ist die Gesellschaft keine statische Struktur, die die Rollen und damit die Identität vorgibt. Vielmehr wird sie durch Interaktion in symbolischer Kommunikation aufgebaut. Daher wird die Gesellschaft durch die wechselseitige Beeinflussung der Individuen, die die Eigenschaften der anderen berücksichtigen, und die symbolischen Bedeutungen, die bei ihrer Interaktion entstehen, kontinuierlich geformt und reformiert. Dementsprechend geht weder die Gesellschaft noch das Individuum dem anderen ontologisch voraus.

Die traditionelle Rollentheorie (insbesondere diejenige, die soziale Systeme als Analyseebene einsetzt) und der symbolische Interaktionismus divergieren in der Frage des Vorrangs der Beziehung zwischen Gesellschaft, Individuen und Rollen. Die traditionelle Rollentheorie geht davon aus, dass die Rollen von der Gesellschaft definiert werden, die ihrerseits logischerweise die Identität bestimmt. Der symbolische Interaktionismus hingegen geht davon aus, dass Rollen durch symbolische Kommunikation in einer wechselseitigen Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Individuum entstehen. Dem Individuum wird zugeschrieben, dass es in seiner Identität aktiv, kreativ, achtsam und willentlich ist.

Der symbolische Interaktionismus basiert auf der Philosophie der amerikanischen Pragmatiker (z. B. W. James, J. Dewey und C. S. Pierce) und späterer Sozialwissenschaftler wie G. H. Mead, C. H. Cooley und E. Goffman. Die Grundannahme ist, dass das Selbst durch symbolische Interaktionen mit gesellschaftlich anerkannten Kategorien und den diesen Kategorien entsprechenden Rollen entsteht. Da die Rollen in Beziehung zu anderen und zur Gesellschaft entstehen, entsteht auch das Selbst. Das Selbst ist die Art und Weise, wie der Einzelne sich selbst im Verhältnis zu anderen versteht (siehe Stryker und Statham 1985).

Eine praktische Konsequenz daraus ist, dass die Art und Weise, wie der Einzelne über sich selbst denkt, in hohem Maße von den sozialen Rollen abhängt, die er spielt. Dies wird von W. James sehr treffend ausgedrückt: “Manch ein Jugendlicher, der vor seinen Eltern und Lehrern sittsam genug ist, flucht und schwadroniert wie ein Pirat unter seinen harten jungen Freunden” (1890, S. 294). Ebenfalls implizit ist die Behauptung von James, dass der Einzelne viele Selbste und viele soziale Identitäten hat: “Ein Mensch hat so viele soziale Selbste, wie es Individuen gibt, die ihn erkennen und ein Bild von ihm in ihrem Kopf tragen” (1890, S. 294). Man kann also sagen, dass Individuen viele miteinander verbundene Selbste haben, im Gegensatz zu einem vereinten Selbst.

Die aktive und entstehende Natur des Selbst und der Identität ist bezeichnend für die Arbeit der Vertreter der Tradition des symbolischen Interaktionismus. Der Einzelne wählt ein Selbst, auf das er Anspruch erhebt, und gibt andere auf, die sich nicht als anpassungsfähig erwiesen oder kein positives Feedback erhalten haben. Somit ist das Selbstwertgefühl direkt mit der Wahl des Selbst verbunden, das beibehalten oder verworfen wird. Darüber hinaus werden Rollen und das Selbst dem Einzelnen nicht einfach aufgezwungen, sondern die verfügbaren Optionen eröffnen die Möglichkeit zur Erforschung des möglichen Selbst. Neuere Arbeiten, die von James’ Formulierungen, zeitgenössischen Evolutionstheorien und performativen Dynamiken abgeleitet sind, haben ein Modell der Erkundung und Konstruktion möglicher Selbste vorgeschlagen (Bailey und Ford 1994; Yost et al. 1992).

Kognition und schematische Verarbeitung. Rollen beeinflussen individuelle Wahrnehmungen, Festlegungen und Urteile über Personen, Ereignisse und kausale Beziehungen durch schematische Verarbeitung. Ein Schema ist eine hochgradig geordnete kognitive Struktur, die aus Wissen, Überzeugungen und Gefühlen über Personen, Objekte und Ereignisse besteht. Schemata sind also mentale Rahmen, die das Gedächtnis und die Assoziationen kohärent organisieren, was wiederum die effiziente Verarbeitung von Informationen erleichtert. Obwohl es viele Arten von Schemata gibt – wie z.B. Ereignisschemata (z.B. das Skript, dem Individuen folgen, wenn sie in einem Restaurant essen) oder Personenschemata (z.B. das Wissen, die Gefühle und die Erwartungen, die ein Individuum über eine andere Person hat) – sind Rollenschemata diejenigen, die richtige Verhaltensmuster je nach Position oder Situation organisieren.

Der Begriff des Rollenschemas ist zentral für das Rollenkonstrukt, da Rollen Verhaltensrichtlinien sind. Aus einer kognitiven Perspektive stellt sich die Frage, wie Rollenschemata die individuelle Informationsverarbeitung beeinflussen. Dieser Einfluss erfolgt in beide Richtungen, d. h. als Beobachter und als Akteur. Die Forschung zeigt, dass die Aktivierung eines Rollenschemas beim Beobachten einer anderen Person die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und die Attribution beeinflusst. Wenn Personen beispielsweise eine ältere Person beobachten, neigen sie dazu, kausale Erklärungen, die mit einem altersbezogenen Rollenschema übereinstimmen, wahrzunehmen, abzurufen und wiederzugeben (z. B. der ältere Herr rümpfte die Nase, weil er die laute Musik missbilligte). Auf diese Weise bieten Rollenschemata den Beobachtern ein reichhaltig vernetztes Netz von Informationen, mit denen sie das Verhalten anderer kategorisieren und somit interpretieren können. Natürlich opfern Rollenschemata als Mittel zum Verstehen anderer die Genauigkeit zugunsten der Effizienz, wie es bei Stereotypen der Fall ist. Als Akteur beziehen sich die Rollenschemata auf die mentalen Repräsentationen der Erwartungen, die mit einer Rolle einhergehen. In ähnlicher Weise greifen Individuen schneller auf Informationen zu und verarbeiten sie, wenn sie sich auf die Rolle beziehen, die sie gerade einnehmen (siehe Fiske und Taylor 1991).

Übergang und Veränderung. Die Forschung zum Rollenübergang erkennt an, dass Menschen sich im Laufe ihres Lebens entwickeln und von einer Rolle in eine andere wechseln. Daher bezieht sich der Begriff Rollenübergang auf den Wechsel von einer Rolle in eine andere und insbesondere darauf, wie sich der Einzelne an diesen Übergang anpasst. So erfordert beispielsweise eine Beförderung vom Programmierer zum Projektleiter das Erlernen neuer Aufgaben und Erwartungen, aber auch eine Änderung der Einstellung gegenüber anderen. Das Gleiche gilt für den Übergang vom Sohn oder der Tochter zum Elternteil, vom Studenten zum Angestellten und vom Kind zum Erwachsenen. Solche Rollenübergänge stellen den Einzelnen vor die Herausforderung, seine Vorstellung von sich selbst, seine Beziehungen zu anderen und seine Meinungen und Einstellungen zu bereichsrelevanten Objekten und Ereignissen neu zu konzeptualisieren. Rollenübergänge wurden im Bereich des Managements untersucht, wobei der Schwerpunkt darauf lag, wie der Übergang erleichtert werden kann, um die Leistung zu verbessern, und im Bereich der psychologischen Beratung, wobei das Augenmerk darauf lag, die emotionale Belastung zu lindern, die solche Anpassungsphasen oft begleitet.

Rollenwechsel kann als eine Änderung des einvernehmlichen Verständnisses der Verhaltensmuster einer etablierten Rolle definiert werden. Es handelt sich nicht um einen Übergang von einer Rolle in eine andere, sondern um eine Veränderung der Erwartungen und Grenzen einer etablierten Rolle. Dabei wird davon ausgegangen, dass Rollen keine statischen Gebilde sind, sondern sich weiterentwickeln müssen, um den Anforderungen des kulturellen Milieus, der wirtschaftlichen Bedingungen oder der sozialen Situation gerecht zu werden (vgl. Turner 1990).

Es gibt drei grundlegende Möglichkeiten, wie sich Rollen verändern können. Erstens können sich die Rollen entsprechend den sich verändernden gesellschaftlichen Prioritäten oder kulturellen Mustern ändern. So haben sich beispielsweise die Geschlechterrollen erheblich verändert, als die Einstellungen zur Gleichberechtigung, zum Zugang zu Karrieremöglichkeiten und zu traditionellen Pflichten in der Gesellschaft überdacht und neu konfiguriert wurden. Zweitens können sich die Rollen aufgrund formaler Vorgaben von Autoritäten ändern. Zum Beispiel können die Aufgaben einer Person quantitativ (z. B. mehr Mitarbeiter) oder quantitativ (z. B. eine völlig andere Qualifikation) erweitert werden. Drittens, und das ist vielleicht das Interessanteste, können Rollen durch die Person, die die Rolle innehat, verändert werden. So kann es sein, dass der Einzelne aufgrund persönlicher Vorlieben oder Einstellungen die Rolle eines “Direktors” so umdefiniert, dass es weniger um Planung und Überwachung und mehr um Betreuung und Leitung geht.

ZUSAMMENFASSUNG

Die Rollentheorie hat einen Kreis geschlossen. Frühe Formulierungen, insbesondere die von Parsons (1951), Moreno (1934) und Goffman (1959), haben in letzter Zeit beträchtliche Aktualität erlangt. So hat sich beispielsweise der Funktionalismus als analytischer Rahmen für die Beschreibung von Veränderungen in aufstrebenden Demokratien als nützlich erwiesen. Morenos Betonung des Rollenspiels hat seinen Weg in die Pädagogik gefunden, und zwar in Form von Klassenübungen zur Veranschaulichung von Konzepten und Workshops für Führungskräfte zur Entwicklung von Fähigkeiten sowie als fruchtbare Methode für therapeutische Interventionen. Und Goffmans Rückgriff auf das Bühnenspiel hat das aktuelle Denken über Identität und sogar die Forschungsmethodik beeinflusst. Dies deutet darauf hin, dass sich Rollentheoretiker ihres theoretischen Erbes und ihrer Vorläufer bewusst sind und bereit sind, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, um die Gegenwart besser zu verstehen.

Rollen verändern sich, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Politische, wirtschaftliche und technologische Faktoren sind besonders unbeständig und verändern auf je eigene Weise das soziale System, in dem der Einzelne lebt, und die Art und Weise, in der er sich selbst versteht. Obwohl die Rollentheorie im letzten Jahrzehnt nicht mehr so intensiv erforscht wurde – ein Opfer der akademischen Mode -, bildet sie nach wie vor eine intellektuelle und strukturelle Grundlage für Bereiche in den Sozialwissenschaften. Da das späte zwanzigste Jahrhundert vor allem von Veränderungen geprägt ist, verändern sich auch die gesellschaftlichen Bedingungen in einem schwindelerregenden Tempo. Kein theoretisches Konstrukt ist besser geeignet, die Auswirkungen solcher Veränderungen auf das soziale System und das Individuum zu untersuchen als die Rollentheorie.

Bailey, J. R., und C. M. Ford 1994 “Of Methods and Metaphors: Theater und Selbstexploration im Labor”. Journal of Applied Behavioral Science 30:381-396.

Biddle, B. J. 1986 “Recent Developments in Role Theory.” In R. H. Turner and J. F. Short, eds., AnnualReview of Sociology, vol. 12. Palo Alto, Calif.: Annual Reviews.

Fiske, S. T., und S. E. Taylor 1991 Social Cognition. New York: Random House.

Goffman, E. 1959 The Presentation of Self in Everyday Life. New York: Doubleday.

Goodman, P. S., E. Ravlin, und M. Schminke 1987 “Understanding Groups in Organizations.” In L. L. Cummings and B. M. Staw, eds., Research in Organizational Behavior. Greenwich, Conn.: JAI.

Hall, R. H. 1991 Organizations: Structures, Processes, andOutcomes. Englewood Cliffs, N.J.: Prentice Hall.

James, W. 1890 Principles of Psychology, vol. 1. New York: Dover.

Moreno, J. L. 1934 Who Shall Survive? Washington, D.C.: Nervous and Mental Disorders Publishers.

Parsons, T. 1951 The Social System. Glencoe, Ill.: Free Press.

Simmel, G. 1920 “Sur philosopie des schauspielers.” Logos 1:339-362.

Stryker, S., und A. Statham 1985 “Symbolic Interaction and Role Theory.” In G. Lindzey and E. Aronson, eds., Handbook of Social Psychology. New York: Random House.

Turner, R. H. 1990 Role Change. In W. R. Scott and J. Blake, eds., Annual Review of Sociology, vol. 16. Palo Alto, Calif.: Annual Reviews.

Turner, V. 1986 The Anthropology of Performance. New York: PAJ.

Yost, J. H., M. J. Strube, und J. R. Bailey 1992 “The Construction of the Self: An Evolutionary View.” Current Psychology: Research and Review 11:110-121.

James R. Bailey
John H. Yost

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.