Wer jemals gedacht hat, dass die geheimnisvolle italienische Autorin Elena Ferrante eigentlich ein Mann ist, der sich hinter einem weiblichen Pseudonym versteckt, der träumt sicher. Die tief greifende Dynamik zwischen den besten Freundinnen aus Kindertagen, die zu Freindinnen geworden sind, Elena Greco und Lila Cerullo, könnte kaum aus einem männlichen Blickwinkel heraufbeschworen werden. Ihr fesselndes, jahrzehntelanges Hin- und Hergerissensein wird in den vier Romanen der Neapolitanischen Reihe von Ferrante erforscht, die als ebenso fesselnde Serie für HBO adaptiert wurden. Die italienische Produktion beginnt nun mit einer großartig gestalteten zweiten Staffel, die das Neapel der 1950er Jahre nach dem Krieg und die komplexen Beziehungen zwischen seinen Bewohnern, die alle in den Ruinen nach mehr suchen, lebendig wiedergibt.
Regisseur Saverio Costanzo kehrt zurück, um die erste Episode der neuen Staffel zu inszenieren, die auf der Fortsetzung von “Mein brillanter Freund”, “Die Geschichte eines neuen Namens”, basiert. In dieser Staffel übergibt er jedoch die Regie bei zwei Episoden an die italienische Filmemacherin Alice Rohrwacher, die mit ihren anspruchsvollen Visionen von weiblichen Problemen in Filmen wie “Glücklich wie Lazzaro” und “Die Wunder” bereit war, sich Ferrante anzunehmen.
In der neuen Staffel von “Mein brillanter Freund” gehört Lila (Gaia Girace) nun zum wohlhabenden Stamm der Caracci, nachdem sie den stolzen Stefano (Giovanni Amura) widerwillig geheiratet hat, weil sie als vielversprechende junge Frau verzweifelt versucht, aus dem Slumleben in Neapel auszubrechen. Doch wie wir in der ersten Folge sehen, ist Lila nach einem entscheidenden Verrat kalt zu Stefano: Er hat ein Paar der handgefertigten Schuhe ihrer Familie an den unterdrückerischen Solara-Clan verkauft, und die anschließenden Flitterwochen an der wunderschönen Amalfiküste sind eine Katastrophe. In einer erschreckenden Sequenz, die damit beginnt, dass Lila im Badezimmer des Hotels eingesperrt ist und ein animalischer Stefano vor der abgeschrägten Glastür steht, schlägt und vergewaltigt er sie brutal.
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Lila berichtet Elena (Margherita Mazzucco) von der Begegnung, die ihre Freundin in der schicken Wohnung des frisch vermählten Paares in einer noblen Ecke Neapels besucht. Lila öffnet die Tür in einem neutralen Flock und mit Sonnenbrille und sieht aus, als wäre sie aus einem Michelangelo-Antonioni-Film gestolpert, aber das liegt nur daran, dass sie einen blauen Fleck von Stefanos ständigen Schlägen verbergen muss. Sie ist jetzt eine verwässerte Version ihres sonst so schelmischen Wesens. “Komm und sieh dir an, wie schön das Badezimmer ist”, sagt Lila zu Elena und führt sie mit grimmiger Resignation durch ihre neue Wohnung. Sie ist keine glücklich verheiratete Frau und zahlt nun den unglücklichen Preis für ihr Verlangen nach einem besseren Leben. Und doch weiß Lila ihre Sexualität als Waffe einzusetzen, wie in einer Szene, in der sie sich selbst austrickst, um die Solaras dazu zu bringen, Elenas trotteligen Möchtegern-Freund Antonio (Christian Giroso) aus dem Wehrdienst zu holen, der für die meisten jungen Männer in ihrer Nachbarschaft gekommen ist.
“My Brilliant Friend”
HBO
Elena wehrt sich unterdessen gegen die Zuneigung von Antonio und verbirgt dabei ihre wahre Liebe zu ihrem intellektuellen Klassenkameraden Nino Sarratore (Francesco Serpico), dessen politische und literarische Ambitionen Elena, die selbst Schriftstellerin werden möchte, beflügeln. Elena, die im Stillen darum kämpft, Lila zu übertrumpfen, obwohl sie ihre langjährige Freundin bewundert, möchte auch ihre Jungfräulichkeit verlieren, ist aber nicht bereit, sie Antonio zu überlassen, obwohl es in der ersten Folge fast zu einem Spießrutenlauf kommt. Doch Nino ist, scheinbar ohne Elenas Wissen, nicht daran interessiert und buhlt stattdessen um die Zuneigung von Lila. Die Ereignisse spitzen sich für die beiden Frauen während eines längeren Aufenthalts in der Strandstadt Ischia zu. Nino, auf den Seiten des Buches und hier in der Rolle des charmanten Schauspielers Serpico, ist der ultimative literarische Fickjunge, dessen Anwesenheit im Leben von Lila und Elena sich im Laufe der Saison als katastrophale Störung erweist.
Visuell kann man sich kaum eine eindrucksvollere Serie im Fernsehen vorstellen. Die Kamerafrau Francesca Calvelli hat die Serie wie einen italienischen Kunstfilm aus den 60er Jahren gedreht, und der Produktionsdesigner Giancarlo Basili hat die Welt von Neapel und den benachbarten italienischen Orten mit einer akribischen, lebendigen Realitätsnähe erschaffen, die sich endlos anfühlt, als wäre eine ganze Stadt für die Serie gebaut worden. (Während viele Außenaufnahmen vor Ort gedreht wurden, handelt es sich bei den Kulissen um eine Rekonstruktion von Neapel in der süditalienischen Stadt Caserta.) Max Richters schmerzhafte Orchestermusik verleiht dem Leben in stiller Verzweiflung einen spürbaren Unterton von Melancholie.
Szenen mit Lila und Elena zusammen besitzen einen fast bergmännischen Rahmen, wobei die beiden Frauen um die visuelle Vorrangstellung in einer Weise konkurrieren, die ihre aufgeladene Dynamik als Frauen widerspiegelt, die in der Lage sind, jeden in ihrer Gemeinschaft zu überlisten – einschließlich einander. Die Besetzung der Serie durch Sara Casani und Laura Muccino ist für Fans der Bücher ebenfalls erstaunlich, da Girace und Mazzucco fast genauso aussehen, wie man sie sich vorstellt: Lilas dunkles Haar und ihr olivfarbener Teint verbergen den Ärger, der in ihrem Geist brodelt, während die schüchterne, schöner aussehende Elena hinter Glas lebt und nie versucht, zu viel Platz einzunehmen. Aber hinter dieser kalten Scheibe ist sie bereit, zusammenzubrechen und alles herauszulassen.
Note: A
“My Brilliant Friend” Staffel 2 hat am Montag, den 16. März um 22.00 Uhr ET auf HBO Premiere.